OFFENER BRIEF zum MZ-Artikel "Als Halle noch Nazi-Hochburg war"

(Mitteldeutsche Zeitung vom 15. April 2013, Seite 3)

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regionaler Presseverteiler

Sehr geehrter Herr Augustin, sehr geehrter Herr Könau,
mit Verwunderung haben wir den oben genannten Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung zur Kenntnis genommen. Aufgrund offensichtlicher Falschdarstellungen in diesem Artikel, wenden wir uns mit diesem offenen Brief an Sie.

Generell ist es fraglich, ob „ehemaligen“ führenden Neonazis ein derart prominentes Forum geboten werden sollte. Dies gilt vor allem dann, wenn der einzige Beleg für deren Abkehr von der Szene die Selbstauskunft ist. Dass der angebliche Ausstieg oft als Schutzbehauptung angeführt wird und den realen Tatsachen widerspricht, ist unumstritten. Ein Zeitungsartikel der die Erzählungen eines Neonazis – ob ausgestiegen oder nicht – unhinterfragt abdruckt, dient nicht der öffentlichen Aufklärung über die rechte Szene, sondern verklärt diese zum romantischen Abenteuer. Es entsteht der Eindruck, als solle den Leser_innen eine spannende Geschichte zum Thema „Jugendsünde“ geboten werden, während die Dimensionen neonazistischer Gewalt abermals ins Abseits rücken.

Diese Verharmlosung der rechten Szene in den Kernaussagen des Artikels über die vom „Aussteiger“ unvorstellbare Konsequenz der rassistischen und menschenverachtenden Theorie in der „Praxis“ des „Nationalsozialistische Untergrunds“ (NSU) negiert die zahlreichen und bekannten Details über die Sozialisation der „NSU“-Mitglieder. Falsch ist, dass Neonazis nichts mit der Gewalt der „NSU“-Mörder zu tun gehabt hätten. So wurde der „NSU“ offensichtlich von weit über hundert Neonazis aktiv unterstützt. Diese Personen wurden, genau wie die Täter und auch der anonymisierte Gesprächspartner Ihres Artikels, in den 1990er Jahren in der (militant) rechten Szene politisiert und radikalisiert. Die Taten des „NSU“ können nur aus den gewalttätigen Intentionen und der damit verknüpften Praxis dieser Strukturen erklärt werden.

Seit 1990 haben die Taten dieser Szene deutschlandweit ca. 180 Todesopfer gefordert – mindestens 13 davon in Sachsen-Anhalt. Auch in Halle und dem Saalekreis gab es drei Todesopfer rechter Gewalt. Dies geschah in einer Zeit, die von Ihnen auf Grundlage der Aussagen Ihres Gesprächspartners als „Räuber-und-Gendarm-Spiel“ verklärt wird. Das ist eine skandalöse Untertreibung mit Blick auf die damaligen Geschehnisse und die Erkenntnisse, die man seitdem gewonnen hat.

Aus den anonymisierten Daten ist sehr leicht abzulesen, um welche Person es sich bei dem Gesprächspartner handelt. Eben diese Person hat über mehrere Jahre für regen Zulauf in die rechte Szene gesorgt. Er war für die Radikalisierung durch Musik, neonazistische Propaganda und Aktionen der Naziszene verantwortlich. Nicht nur seine Funktion als regionaler Führungskader des nazistischen „Blood & Honour“-Netzwerk und seine Kontakte zum rechtsterroristischen „Combat 18“ sondern auch seine Tätigkeit als neonazistischer Versandhändler und Ladenbesitzer waren ihm dabei hilfreich.

Es gibt zahlreiche Belege dafür, welche radikalisierende Rolle diese Person auf die regionalen Neonazistrukturen wirklich gespielt hat. Diese können wir Ihnen, Ihr Interesse vorausgesetzt, gerne vorlegen. Die Art und Weise, wie einem „ehemaligen“ Neonazi ein Forum in der Mitteldeutschen Zeitung gegeben wurde, ist uns unverständlich und von Ihrer Seite erklärungsbedürftig. Der Artikel ist ein Beispiel dafür, wie verharmlosend die Historie der rechten Gewalt in Halle und darüber hinaus zu oft dargestellt wird. Die nun nach und nach aufgedeckte Geschichte des „NSU“ sollte uns allen als mahnendes Beispiel dienen.

Halle gegen Rechts. Bündnis für Zivilcourage

Anmerkungen:
Die Veröffentlichung des Offenen Briefes ist ausdrücklich erwünscht. Für Nachfragen stehen Vertreter des Bündnisses „Halle gegen Rechts“ unter den oben genannten Kontaktdaten gerne zur Verfügung.

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