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OFFENER BRIEF: KEINE BÜHNE FÜR FASCHISMUS!

Sehr geehrter Herr Minister Stahlknecht,
Sehr geehrte Frau Karen Stone,
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Elisabeth Schweeger,
Sehr geehrte Frau Vera Wolfskämpf,

 

in Sachsen-Anhalt wie der Bundesrepublik, ja ganz Europa und darüber hinaus erstarkt die extreme Rechte und mit ihr artikulieren sich nicht nur faschistische Sprache und rassistisches Ressentiment, die Sehnsucht nach totalitärer Führung und brutale Gewalt in Worten und Taten; es verschiebt sich die gesamte gesellschaftliche und politische Debatte nach rechts. Seit mehr als einem Jahr reißen die massiven Attacken und Anschläge auf Unterkünfte Geflüchteter nicht ab, werden Menschen angegriffen, welche die Täter*innen als nicht-deutsch wahrnehmen, rassistische Aufmärsche sind ebenso wie antisemitische Parolen und Straftaten ein Dauerzustand. Allein Sachsen-Anhalt verzeichnet im Jahresvergleich 2014 zu 2015 eine Steigerung rassistischer und neonazistischer Aufmärsche von mehr als eintausend Prozent. Gleichzeitig erreicht mit der Alternative für Deutschland (AfD) eine Partei der extremen Rechten Erfolge in der gesamten Bundesrepublik und ist medial wie im allgemeinen Diskurs mit ihren völkischen Parolen so omnipräsent, wie Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in der Gesellschaft.

 

In dieser Situation waren Sie eingeladen (und Gastgeberin), über einen "Rechtsruck" zu diskutieren und das mit Götz Kubitschek, herausgehobener Figur der extremen Rechten. Ein Sieg für den Rechtsextremismus! Angekommen im Theater, dem Ort der Kunst, der Experimente, von Suche und Vergewisserung jener Gesellschaft, für deren Vernichtung die extreme Rechte kämpft, publizistisch, populistisch, politisch und militant.

 

Die Kunst wie die einung und das Denken müssen frei sein! Anders als die Verbündeten Götz Kubitscheks das fordern, wenn die Identitäre Bewegung Theateraufführungen stürmt, oder die AfD Schauspielhäuser zu völkischen Propagandainstituten umbauen will. Theater sind auch politische Orte; die fundamentale Überzeugung von Meinungs- und Kunstfreiheit ist immer und gegen jede*n zu verteidigen. Eine kluge Idee wird die Bühne für Faschismus dadurch nicht. Erklärte Strategie der extremen Rechten ist es, erst die vor-politischen öffentlichen, gesellschaftlichen Räume zu besetzen, Begriffe zu prägen und damit das Denken und in der Konsequenz das Handeln. Nach der Besetzung der Köpfe, der Verschiebung des Denk- und Sagbaren nach rechts will die extreme Rechte die Institutionen von Staat und Gesellschaft durchdringen und im letzten Schritt übernehmen – den totalen Staat errichten, die bisherige Gesellschaft und ihre Überzeugungen zerschmettern. Mit der Einladung an Götz Kubitschek, auf Augenhöhe mit dem Innenminister zu reden, wurde der extremen Rechten die Anerkennung als Gesprächspartnerin zuteil. Horst Mahler und Beate Zschäpe, die NPD und neonazistische Kameradschaften dürfen neidisch sein.

 

Während auch etablierte demokratische Parteien seit Monaten keine Schwierigkeiten darin sehen, Kontingente für Menschlichkeit zu verhandeln und angesichts des Sterbens tausender Menschen auf der Flucht der Humanität Grenzen zu setzen, wird eine ganz andere Grenzsetzung skandalisiert: jene nach rechts. Denn nichts anderes ist es, wenn gefragt wird, ob eine respektvolle Sprache nicht zu Hass führt und in Einigkeit mit dem Rechtsextremismus von einer erfundenen Meinungsdiktatur gesprochen wird. Als hätten wir nicht alle seit über einem Jahr gesehen, dass faschistische Parolen und rassistische Hassreden hunderttausendfach im Internet und auf der Straße verbreitet werden können, Politiker*innen der extremen Rechten in Interviews, Talkshows und auf Kundgebungen jeden Tag aufs Neue ihre Meinung propagieren.

 

Es zeigt sich der autoritäre Charakter in den gesellschaftlichen und politischen Debatten, wenn Widerspruch gegen Faschismus und Rassismus als Bedrohung der Meinungsfreiheit beschrieben werden und es ist eine Unterwerfung der Demokrat*innen unter die Stimmungen völkischer Bewegungen, wenn ihre Forderungen übernommen werden, statt ihnen zu widersprechen. Menschen ernst zu nehmen bedeutet, ihnen ernsthaft zu antworten – nicht, aus ihrer Ablehnung von Demokratie und offener Gesellschaft, aus Rassismus und Gewalt "Sorgen und Ängste" zu machen. Es beschädigt nicht die Meinungsfreiheit, Faschismus, Rassismus und völkischem Denken zu widersprechen – sondern es ist eine ernsthafte Antwort derer, welche für eine Gesellschaft streiten, die auf unteilbaren Menschenrechten fußen soll. Meinen wir das ernst, müssen wir auch über soziale und ökonomische Ungerechtigkeit sprechen, über eine Gesellschaft die Menschen in prekäre Lebenssituationen bringt und über Ausgrenzung – statt jene einzuladen, die ausgrenzen und deren Denken in
Vernichtungsideologien führt.

 

Wir sind nicht mehr in der Lage, "Wehret den Anfängen" zu rufen, wir sind mittendrin und müssen uns fragen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen und wofür wir streiten. Die Klügeren der extremen Rechten haben das begriffen – haben wir es auch begriffen und werden wir für eine freie, offene, plurale Gesellschaft kämpfen, oder dem völkischen Furor weiter nachgeben?

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