Sven Liebich ist in der Neonazi-Szene politisch groß geworden, dann war er verschwunden und seit Jahren demonstriert er in Halle (Saale) und an anderen Orten. Er hetzt gegen politische Gegner*innen und Berichterstatter*innen. Doch die Justiz in Sachsen-Anhalt zeigt bis heute keine ausreichenden Anstrengungen, ihre Verfahren effektiv zu führen. In diesem Beitrag liefern wir Hintergründe.
Neonazi, Dauerdemonstrant, rechter Unternehmer – zur Person Liebich
Sven Liebich ist in der Neonazi-Szene politisch groß geworden. Lange war er in Sachsen-Anhalt führendes Mitglied der im Jahr 2000 verbotenen Neonazi-Organisation „Blood & Honour“ (englisch für Blut und Ehre). Noch bis 2003 hatte er eine relevante Rolle in der Neonazi-Szene in Halle (Saale), Anfang 2004 verschwand er aus der Öffentlichkeit, um erst zehn Jahre später wieder aufzutauchen. Liebich selbst behauptete, mit seinem Rückzug aus der extremen Rechten ausgestiegen zu sein. Belege dafür sind nicht vorhanden, über seine Aktivitäten in diesen Jahren ist kaum etwas bekannt. Im Zuge der extrem rechten und verschwörungsideologischen Mobilisierung im Zusammenhang mit Russlands Annexion der Krim im Jahr 2014 (sogenannter Friedenswinter) begann Liebich wieder die Öffentlichkeit zu suchen. Weiteren Auftrieb erhielt er auch durch die extrem rechte Mobilisierung gegen Flucht und Migration in die Bundesrepublik ab dem Jahr 2015.
Seine „Montagsdemonstration“ findet seit Jahren wöchentlich in Halle (Saale) statt, dazu kommen diverse weitere Versammlungen. Allein für das Jahr 2023 zählte Miteinander e.V. mindestens 75 von Liebich organisierte Kundgebungen in Halle (Saale). Unter der Bezeichnung „Halle-Leaks“ betrieb Liebich einen Blog und diverse social-media-Accounts, mit denen er extrem rechte, verschwörungsideologische, rassistische und antisemitische Inhalte verbreitete. Bis heute greift er mit seinen Redebeiträgen und Veröffentlichungen politische Gegner*innen und Journalist*innen an, oftmals in einer krassen, beleidigenden und sexualisierten Sprache. Dabei verbreitet er immer wieder Falschnachrichten.
Während zu Beginn seiner regelmäßigen Versammlungen noch Größen der extremen Rechten, wie etwa die ehemalige PEGIDA-Frontfrau Kathrin Oertel, nach Halle (Saale) reisten, um mit ihm aufzutreten, sind die Kundgebungen inzwischen kleiner geworden und zahlreiche Mitstreiter*innen haben sich zurückgezogen. Der Kern um den Neonazi zeigt sich zunehmend aggressiver und gewaltbereiter. Einzelne Aktionen von Liebich erreichen mit ihrer krassen, diffamierenden Sprache und seinem Unterschreiten jeglicher Niveaugrenzen eine hohe Reichweite in sozialen Medien, wie etwa sein Auftritt vor dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Den verbalen Angriffen und der Feindmarkierung durch den Neonazi folgen seit Jahren Angriffsversuche und konkrete Gewalt durch seine Anhänger*innen.
Kundgebungen von Sven Liebich sind immer auch Verkaufsveranstaltungen. Durch seine politische Biographie zieht sich, dass er seine Unterstützer*innen auch als seine Kund*innen nutzt. Über die Jahre haben seine Firmen und Geschäfte und die Rolle des Neonazis in diesen gewechselt. Sie vertreiben Produkte passgenau zu den Kundgebungen von Liebich und für die unterschiedlichen Spektren der extremen Rechten. Darunter sind auch krasse antisemitische Motive wie ein stilisierter „Judenstern“ mit der Aufschrift „Ungeimpft“ oder Aufkleber zum Überkleben der Stolpersteine, welche an Menschen erinnern, die von den Nationalsozialisten deportiert wurden.
In den letzten Monaten haben erstmals seit Jahren nicht mehr jede Woche Versammlungen des Neonazis in Halle (Saale) stattgefunden. Zuletzt tauchte er auf der “Montagsdemonstration” gar nicht mehr selbst auf. Es liegt dabei nahe, dass das Berufungsverfahren der Grund hierfür sein könnte. So könnte der Neonazi versuchen, dort anzuführen, dass er nun “ruhiger” geworden sei.
Vergangene und laufende Verfahren gegen Sven Liebich
Aus der inzwischen umfangreichen Reihe von Verfahren gegen den Neonazi wird hier eine Auswahl mit weiterführenden Quellen aufgezählt:
Zuletzt hat das Amtsgericht Leipzig den Neonazi zu sieben Monaten Haft ohne Bewährung wegen des Angriffs auf einen Fotografen am Rande einer “Querdenken”-Versammlung 2020 in Leipzig verurteilt. Ebenfalls verurteilt wurden Caroline K., Matthias B. und Uwe H. Alle haben Rechtsmittel eingelegt, voraussichtlich ab Juli 2024 wird das Landgericht Leipzig die Berufung verhandeln.
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2022 wurde der Neonazi zu zehn Monaten Haft, ausgesetzt zur Bewährung auf drei Jahre, sowie 250 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Angeklagt worden war er u.a. wegen Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens, Beleidigung, übler Nachrede und Volksverhetzung. Das Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) erging im September 2020, zwei Jahre später wurde es weitgehend durch die Berufungsentscheidung des Landgerichts Halle (Saale) bestätigt, die Revision wies das Oberlandesgericht Naumburg zurück. Damit ist das Urteil rechtskräftig. Von seinen Straftaten betroffen waren u.a. die Politiker*innen Renate Künast und Martin Schulz.
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Im April 2022 fand in der Reideburger Straße 44 in Halle (Saale) eine Durchsuchung statt, auf dem Gelände befindet sich auch der Sitz der l & h shirtzshop GmbH, deren Geschäftsführer Liebich über Jahre war. Nach Angaben von Landeskriminalamt und Generalstaatsanwaltschaft Naumburg standen die Durchsuchungen im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung, der Belohnung und Billigung von Straftaten und des Betreibens einer kriminellen Handelsplattform im Internet. Zu den Beschuldigten wollten sich die Behörden nicht äußern. Laut Medienberichten soll die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg ein Verfahren, bei dem es sich laut Ermittlern um dieses Verfahren handele, inzwischen abgeschlossen und Anklage zum Amtsgericht Halle (Saale) erhoben haben. Dort sollen auch Anklagen gegen den Neonazi wegen Beleidigung und übler Nachrede gegen Mitarbeiter*innen der Versammlungsbehörde für Halle (Saale) vorliegen.
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Justiz und rechte, rassistische und antisemitische Straftaten
Seit Jahren steht insbesondere die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) bundesweit in der Kritik für ihren Umgang mit rechts-, rassistisch-, und antisemitisch motivierten Straftaten. Immer wieder erhalten Betroffene, nachdem sie Anzeige erstattet haben, Einstellungsbescheide. Oftmals mit nicht nachvollziehbaren Begründungen. Nehmen sie die Einstellung des Verfahrens einfach hin, muss sich der Neonazi nicht verantworten. Wollen sie dagegen vorgehen, brauchen sie oftmals anwaltliche Unterstützung. Die Kosten müssen sie selbst tragen.
Über die Bezeichnung von Menschen als “Kriminelle” schrieb beispielsweise eine Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Halle (Saale) in der Begründung der Einstellung im Jahr 2017, dieser Begriff sei “in die Alltagssprache eingegangen” und weiter, “Er bedeutet nicht mehr, dass die bezeichneten Personen konkrete Straftaten begangen haben, er bedeutet lediglich, dass sie möglicherweise ein Verhalten zeigen, dass der Sprechende beziehungsweise Schreibende nicht billigt.” Zu einer homofeindlichen Beleidigung fällt ihr in einem Einstellungsbescheid aus dem Jahr 2019 ein, “Insbesondere nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten ‘dritten Geschlecht’ und der Gleichstellung homosexueller Menschen in nahezu jedem Rechtsgebiet kann es nicht mehr kränkend sein, als Homosexueller bezeichnet zu werden.” In einem – in der Sache wohl rechtlich nachvollziehbaren – Einstellungsbescheid geht es u.a. um die Aussage “und hier fanden die Ficki-Ficki-Parties mit den Flüchtlingen statt”, dazu schreibt die Staatsanwältin folgende, bizarre Sätze, “Ob es sich um eine Äußerung, die gegen Flüchtlinge gerichtet ist oder aber um eine Äußerung, die sich an Beteiligte von Gruppensex-Veranstaltungen richtet, handelt, ist nicht festzustellen.” Überhaupt, lässt die Staatsanwältin in einem Einstellungsbescheid im Jahr 2021 wissen, “Mehrdeutige Äußerungen jedoch sind grundsätzlich zugunsten des Beschuldigten auszulegen.”, statt jene nicht-strafbaren Bedeutungen darauf zu prüfen, ob sie nicht schlüssig ausgeschlossen werden können. Der Betroffene legte damals erfolgreich Widerspruch gegen den Einstellungsbescheid ein, aus welchem das letzte Zitat stammt. Die Tat gegen ihn ist nun Teil der Verhandlung vor dem Amtsgericht Halle (Saale).
Die Einstellungsverfügungen sind Teil eines Problems, das größer ist. Immer wieder erleben Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Straftaten in Sachsen-Anhalt, dass die Justiz ihre Fälle nicht ausreichend ernst nimmt. In den kommenden Wochen werden wir hier, parallel zum Prozess, einige Beispiele dafür nochmals aufrollen.