PROZESSBERICHT TAG EINS

Am 16. Mai 2023 begann der Prozess gegen den Neonazi Sven Liebich vor dem Amtsgericht Halle (Saale) mit der Anklageverlesung, einer teilweisen Einlassung des Angeklagten und der Vernehmung erster Zeugen. In diesem Beitrag wird der erste Prozesstag zusammengefasst.

Die Prozessbeteiligten 

Geführt wird das Verfahren durch Richterin am Amtsgericht Westerhoff als Einzelrichterin, das bedeutet, es sind keine weiteren Berufsrichter*innen oder Schöff*innen beteiligt. Dazu kommt der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Halle (Saale), dessen Behörde die Anklage erhoben hat. Neonazi Sven Liebich ist als Angeklagter am Prozess beteiligt und wird am ersten Tag durch seine Pflichtverteidigerin Christina Reißmann vertreten. Ebenfalls am Prozess beteiligt sind drei Betroffene, für die wir zu Spenden aufrufen, damit sie ihre Rechte im Verfahren durch einen Anwalt wahrnehmen können. Eine Betroffene ist bereits als Nebenklägerin zugelassen, zwei weitere Betroffene warten darauf noch. Aktuell können sie ihre Rechte teilweise als sogenannte Adhäsionskläger*innen wahrnehmen (was das bedeutet, lässt sich hier nachlesen). Die drei Betroffenen werden durch Dr. Björn Elberling von der Kanzlei Eisenbahnstraße aus Leipzig vertreten.

Aufruf der Sache, Verlesung der Anklage, Einlassung des Angeklagten

Das Verfahren beginnt mit dem Aufruf der Sache, danach wird die Anwesenheit der Prozessbeteiligten festgestellt. Zunächst informiert das Gericht, dass ein Antrag auf Ablehnung der Richterin wegen Befangenheit, welchen der Angeklagte gestellt hatte, abgelehnt wurde. Wie jedes Strafverfahren beginnt auch der Prozess gegen den Neonazi Sven Liebich mit der Verlesung der Anklage durch den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft. Diese wirft Liebich u.a. Volksverhetzung, Billigung von Straftaten, Verleumdung und üble Nachrede vor (mit mehr Details hier nachzulesen). 

Danach hat der Angeklagte das Recht sich zur Sache zu äußern, oder zu schweigen. Grundsätzlich darf einem Angeklagten sein Schweigen nicht negativ ausgelegt werden, es sei denn, er schweigt zu einem Teil der Vorwürfe und lässt sich zu einem anderen Teil ein. Dann darf das Gericht Schlüsse daraus ziehen, wozu der Angeklagte nichts gesagt hat. Diese Variante wählt Sven Liebich, erklärt seine Rechtsanwältin und listet auf, zu welchen Vorwürfen sich Liebich einlassen wird. In früheren Gerichtsverfahren hat der Neonazi umfangreich ausgesagt, es drängt sich der Eindruck auf, dass er nun vorsichtiger wird. 

Zu einer angeklagten Beleidigung von zwei der Betroffenen als „Stasi-Schweine“ führt er aus, die Dokumentation seiner Versammlungen erinnere ihn eben an die Stasi. Dass er die Aussage getätigt hat, bestreitet er nicht. „Ich mache keine Nazisachen“, behauptet er noch. Er selbst sei gleichzeitig eine „Kunstfigur“, ein „Markenbegriff“. Rechtsanwalt Dr. Elberling weist auf den Widerspruch hin, dass der Angeklagte einerseits behaupte, die Dokumentation seiner Versammlungen erinnere ihn an die Stasi, während dort gleichzeitig Teilnehmende selbst filmen und die Versammlungen in der Vergangenheit oft live gestreamt wurden. Zudem behauptet Liebich, er selbst habe seinen YouTube-Account – auf dem teilweise Videos veröffentlicht wurden, in denen er angeklagte Aussagen tätigt – gar nicht selbst betrieben, das hätten Helfer gemacht. Auch seinen Telegram-Kanal betreibe er nicht allein, hier habe er jedoch Administratoren-Rechte.

Ebenfalls bestreitet Liebich nicht, einen Betroffenen als „Nazi“ bezeichnet zu haben. Das sei jedoch eine Art „Hilferuf“ gewesen. Durch ein ominöses Bündnis würden Leute verunglimpft, das seien „Nazi-“ oder „Stasi-Methoden“, die ihm Angst machen würden. Es ist davon auszugehen, dass er u.a. die Dokumentation seiner Versammlungen durch Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage und dessen Mitglieder meint. Die Beleidigung von Teilnehmenden eines Gegenprotests des Bündnisses gegen eine Versammlung des Neonazis im Paulusviertel u.a. als „Faschisten“ und „dressierte Affen“ will der Neonazi nur auf einen angeblichen militanten Mob bezogen haben, der ihm dort entgegengetreten sei. Er habe in „Todesangst“ gesprochen (auf seinem Auto stehend, bei seiner von der Polizei mit größerem Aufgebot abgesicherten Versammlung). Da habe er „Adrenalin“ gehabt, er habe ja gedacht, dort vielleicht seine „letzten Worte“ zu sprechen. Auch seine angeklagten Aussagen über eine Fotografin, diese habe ein Kind geschlagen, rechtfertigt Liebich. Er habe das so wahrgenommen, seine Aussage sei also keine Lüge gewesen. 

Im Detail sagt der Neonazi zu dem Vorwurf des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr aus. Die Anklage wirft ihm vor, er habe einem Fahrradfahrer, der zu diesem Zeitpunkt von der Polizei mit einem Auto verfolgt wurde einen Schirm in die Speichen seines Rads gesteckt, so dass das Rad stoppte und der Fahrer umkippte. Liebich behauptet, er sei davon ausgegangen, dass der Mann sicher eine Straftat begangen habe, etwa das Rad gestohlen, und er der Polizei habe helfen wollen, ihn zu stellen. Ihm sei auch schon ein Rad gestohlen worden, er wisse, wie sich das „anfühle“. Nach dem Vorfall veröffentlichte der Neonazi einen Post, in dem er davon schrieb, er habe einem „Salafisten“ seinen Schirm in die Speichen des Rads gesteckt, der darauf vom Rad geflogen sei. Als ihm das vorgehalten wird, spricht er davon, er habe den Vorgang für seine „Zielgruppe“ aufbereitet. Er habe bei der Tat gar nicht erkannt, dass der Radfahrer in seiner Wahrnehmung nicht deutsch ausgesehen habe, erst danach. Was das mit der Zielgruppe genau bedeute, dass will Liebich nicht beantworten, erklärt seine Anwältin für ihn.

Teils wirken die Aussagen in ihren übertriebenen Formulierungen grotesk, das Gericht lässt sich nicht auf den sinnlosen Versuch ein, sie mit Liebich zu diskutieren, sondern stellt – wie die anderen Prozessbeteiligten – einzelne Fragen. Relevant wird, wie es die Aussagen später würdigt, sprich, ob es dem Neonazi seine Rechtfertigungen abnimmt. 

Vernehmung erster Zeugen

Nach der Einlassung des Neonazis vernimmt das Gericht drei Zeugen. Zunächst einen Polizeibeamten, der das Einsatzfahrzeug gefahren hatte, mit dem der Radfahrer verfolgt wurde, dem Liebich einen Schirm in die Speichen geschoben haben soll. Er beschreibt die Verfolgungsfahrt. Warum genau sie den Radfahrer verfolgten, kann er nicht mehr genau sagen. Wahrscheinlich habe er ein Telefon am Ohr gehabt (das wäre eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat). Er habe sich zunächst bei Liebich bedankt, dass dieser den Radfahrer gestoppt habe. Erst danach sei ihm und seinen Kollegen der Schirm in den Speichen aufgefallen. In diesem Moment sei ihnen eingefallen, dass Liebich zu ihnen gesagt habe, sie schuldeten ihm einen Schirm. In der Folge hätten sie eine Strafanzeige gegen den Neonazi gefertigt.

Als weiteren Zeugen vernimmt das Gericht einen Mann, der als Sicherheitsfachkraft im Hauptbahnhof Halle gearbeitet hat, als Liebich dort einen Hausfriedensbruch begangen haben soll. Er schildert, wie er Liebich gesehen und erkannt habe und sich dabei erinnert, dass gegen Liebich ein Hausverbot für den Hauptbahnhof bestehe. In einem solchen Fall dürfe die Person den Hauptbahnhof nur betreten, um eine Zugfahrt zu beginnen. Liebich habe nicht begeistert gewirkt, als der Zeuge ihn angesprochen habe und aufgefordert, den Hauptbahnhof zu verlassen, sei der Aufforderung aber nachgekommen. Das Gericht kündigt an, Akten zum Hausverbot anzufordern.

Zuletzt wird ein weiterer Polizeibeamter vernommen. Bei seiner Aussage geht es ebenfalls um eine Versammlung von Liebich. Bei dieser soll er mit Klebeband ein großes „Z“ auf sein Auto geklebt haben und auf die andere eine Russlandfahne. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe damit einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gebilligt. Der Polizeibeamte sagt aus, Liebich habe zunächst angegeben, dass das „Z“ in seinem Firmenlogo vorkomme, danach habe er behauptet, das Zeigen des „Z“ sei zwar in anderen Bundesländern strafbar, nicht aber in Sachsen-Anhalt. Nach der Ansprache durch Polizei und Versammlungsbehörde habe er das „Z“ verändert, so dass es nicht mehr als solches erkennbar gewesen sei.

Aussichten und Bemerkungen 

Zum Ende des ersten Verhandlungstags kündigt das Gericht die Vernehmung weiterer Zeuginnen und Zeugen an sowie in der weiteren Beweisaufnahme eine ganze Reihe von Videos in Augenschein zu nehmen. Das Gericht merkt zudem an, dass viele Fragen in diesem Verfahren allein rechtliche Fragen seien und deswegen nicht Gegenstand der Beweiserhebung. Damit ist gemeint, dass sich kein Beweis darüber erheben lässt, ob eine bestimmte Handlung strafbar ist. Es lässt sich allein Beweis darüber erheben, ob es die Handlung tatsächlich gab. Ob sie strafbar ist, ist eine juristische Frage, auf die Anklage und Verteidigung sowie Nebenklage in ihren Schlussvorträgen (Plädoyers) im Rahmen der Würdigung der erhobenen Beweise eingehen. 

An den Angeklagten ergeht noch ein rechtlicher Hinweis. Eine der angeklagten Beleidigungen, von der „Omas gegen Rechts“ betroffen waren, könne möglicherweise nicht nur wie angeklagt als Beleidigung, sondern auch als Volksverhetzung strafbar sein. Hierbei verweist das Gericht auf ein Urteil des Amtsgerichts Tiergarten aus Berlin, das in einer fast identischen Äußerung des Neonazis einen strafbaren Fall der Volksverhetzung erkannte. Der Hinweis ist notwendig, um die Tat gegebenenfalls auch als Volksverhetzung zu verurteilen und nicht nur wie angeklagt als Beleidigung und soll dem Angeklagten ermöglichen, sich entsprechend zu verteidigen. 

Während bisher in der Regel Rechtsanwalt Michael Matthias aus Halle (Saale) den Neonazi in Strafsachen vor Gericht vertrat, ist seine Pflichtverteidigerin nun Christina Reißmann aus der Kanzlei von Andreas Wölfel. Wölfel vertrat Liebich zuletzt selbst in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Merseburg, Reißmann vertrat mehrfach die damalige Freundin/Lebensgefährtin des Neonazis, Caroline K. Wölfel ist schon länger als Szene-Anwalt der extremen Rechten bekannt, nach Medienberichten war er in der Vergangenheit selbst für die NPD aktiv. 

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Kommende Verhandlungstage

Das Gericht setzt als weitere Tage der Hauptverhandlung den Freitag, 2. Juni 2023, den Montag, 5. Juni 2023 und den Donnerstag, 22. Juni 2023, jeweils 9 Uhr fest. Am zweiten Verhandlungstag sollen die ersten Betroffenen als Zeug*innen vernommen werden. Das Gericht kann weitere Verhandlungstage ansetzen, aktuell lässt sich noch nicht sagen, wann das Verfahren mit einem Urteil abgeschlossen wird.