Antisemitismus ist keine Kunst – zum Auftritt von Lisa Eckhart im Steintor-Varieté in Halle (Saale) am 14. September 2022
Unter ihren Fans genießt Kabarettistin Lisa Eckhart das Image des jungen, intelligenten und konservativen Bollwerks gegen wokes Spießertum, welches nicht in der Lage sei, ihren fein gebauten Humor zu verstehen. Satire, so eine überbemühte Floskel, müsse auch wehtun dürfen. Doch wenn Eckhart auf offener Bühne antisemitische, rassistische und menschenverachtende Witze reißt, hat das nichts mit Satire zu tun – eine antisemitische Aussage wird nicht zur kunstvollen Darbietung, nur weil eine Kabarettistin sie ausspricht. Das Steintor-Varieté Halle mit seinem Geschäftsführer (und Die Linke-Stadtrat) Rudenz Schramm holt sich damit nach Uwe Steimle erneut eine Person auf die Bühne, die für ihre antisemitischen Aussagen bundesweit in der Kritik steht.
Antisemitismus und Rassismus
Worum geht es? Lisa Eckhart, Kabarettistin aus Österreich, steht seit geraumer Zeit bundesweit wegen antisemitischer Aussagen in der Kritik. In ihrem Programm “Die Vorteile des Lasters” bringt sie einen Klassiker antisemitischer Erzählungen auf die Bühne. Eckhart fragt dort, “Wieso sind in Sachen Humor die Juden den Frauen um zwei Nasenlängen voraus?”[1] Die angeblich langen Nasen von Jüdinnen und Juden – Eckhart bedient hier ein antisemitisches Stereotyp, dass sich durch judenfeindliche Darstellungen der letzten Jahrhunderte bis heute – etwa auf der documenta fifteen – zieht, und in der Propaganda der Nationalsozialisten tausendfach verbreitet wurde, vom “Stürmer” bis zu Propagandafilmen. In ihrem Programm “Die heilige Kuh hat BSE” sagt Eckhart, “Harvey Weinstein, Roman Polanski, Woody Allen – kann man deren Filme noch guten Gewissens schauen? Wo wir doch nun schmerzlich wissen, dass es sich bei diesen dreien allesamt um – na, ich mag es gar nicht sagen – und als wäre das nicht schlimm genug, belästigen sie auch noch Frauen. Weinstein, Polanski, Allen, geborener Allen Königsberg – finden Sie dieses MeToo nicht auch antisemitisch?” Was Eckhart hier angeblich nicht sagen möchte, aber damit nur hervorhebt, indem sie überdeutlich darauf anspielt, ist die Tatsache, dass alle drei Genannten jüdischer Abstammung sind. Eckhart spielt bei Woody Allen auch auf den Klang seines Geburtsnamens an, den sie offenbar für jüdisch hält. Indem sie nicht ausspricht was sie meint, sondern mit einer Anspielung arbeitet, transportiert sie noch eine weitere Botschaft, die Antisemitinnen und Antisemiten nicht müde werden zu wiederholen: Dass man angeblich über Jüdinnen und Juden nicht offen sprechen dürfe. Die Anspielung wird in dieser antisemitischen Logik zur Notwendigkeit, da das offene Sprechen ja angeblich nicht möglich sei. Hier wird eine Übermacht von Jüdinnen und Juden herbeifantasiert, die grundlegend antisemitische Weltbilder prägt. Mit der Frage, ob das Publikum MeToo – also die Bewegung, in der vor allem Frauen sexuelle Übergriffe und sexualisierte Gewalt, die sie erlebt haben, öffentlich machen – denn nicht für antisemitisch halte, setzt Eckhart die falsche Erzählung der fehlenden Redefreiheit fort. Denn mit der Frage zielt sie darauf ab, Vorwürfe wegen und Kritik an Antisemitismus lächerlich zu machen, indem sie so tut, als würde jede Kritik an Verhalten von Jüdinnen und Juden immer als antisemitisch zurückgewiesen. Formuliert man ihre Frage aus, würde sie sinngemäß lauten, “Finden Sie es nicht auch antisemitisch, wenn ein Jude wegen der Vergewaltigung einer Frau kritisiert wird?” Natürlich behauptet niemand, dass eine solche Kritik, so sie zutrifft, antisemitisch sei. Es ist eine schlichte Erfindung im antisemitischen Zerrbild von Eckhart, eine Erfindung in ihrem Kopf, gegen die sie sich nun vermeintlich mutig auflehnt. “Es ist ja wohl nur gut und recht, wenn wir den Juden jetzt gestatten, ein paar Frauen auszugreifen. Mit Geld ist ja nichts gut zu machen. Ich meine, den Juden Reparationen zu zahlen, das ist wie Didi Mateschitz ein Red Bull auszugeben.”, setzt Eckhart ihre antisemitische Tirade fort. Zunächst formuliert Eckhart hier einen Gegensatz zwischen “Juden” und “uns”, “Wir” und “die”, eine völkische Grundierung, welche Jüdinnen und Juden nicht als Teil der Gesellschaft beschreibt, sondern sie aus dieser ausschließt. Dann kommt Eckhart zu ihrem antisemitischen Clou dieser Passage, der Formulierung, dass Vergewaltigung “nur gut und recht” sei, wenn sie von einem Juden begangen würde. Was Eckhart nicht ausspricht, worauf sie aber anspielt, ist das, was Neonazis als “Schuldkult” bezeichnen. Die falsche Erzählung, insbesondere die deutsche Mehrheitsgesellschaft würde darunter leiden, dass Jüdinnen und Juden Rechte eingeräumt würden, wie sie andere Menschen nicht hätten – als Folge der (bis heute nicht abgeschlossenen) Aufarbeitung der Shoa, des industriellen Massenmords an Millionen Jüdinnen und Juden. Daran schließt Eckhart direkt das antisemitische Stereotyp an, dass jüdische Menschen besonders reich seien, wenn sie sagt, Jüdinnen und Juden Reparationen – also Geldleistungen – zu zahlen, sei so, als würde man dem Chef von Red Bull ein Red Bull ausgeben. Die Juden, über die man nicht sprechen dürfe, die doch unantastbar seien, hätten doch bereits so viel Geld, dass ihr angeblich unstillbares Verlangen nach Reparationen nun eben in der Erlaubnis ausgezahlt werden müsse, Frauen zu missbrauchen. Auch hier schließt die Kabarettistin an teils jahrhunderte alte, antisemitische Erzählungen an. Daran hängt Eckhart noch ein paar abfällige Bemerkungen über Menschen mit Behinderung und Transmenschen, um schließlich zur nächsten, nun rassistischen Pointe zu gelangen. “Selbst der Schwarze ist ein Mensch”, so Eckhart weiter, wie solle sich der “edle Wilde” beherrschen, wenn seine “Erektion alle sieben Liter Blut” brauche, über die ein Mensch verfüge. Es muss hier nicht darüber aufgeklärt werden, dass diese Behauptungen Rassismus in Reinform darstellen.
Keinerlei Einsicht bei Eckhart
Das weiß auch Eckhart selbst. Sie hält dem eine Position entgegen, die weder besonders innovativ noch besonders einleuchtend ist: Sie überspitze nur. Satire dürfe das nicht nur, sie müsse das auch. Wer ihre Witze nicht verstehe, der wolle sie einfach missverstehen. Die tiefer liegende Frage ist eine grundsätzliche: Ist es möglich, mit der Verbreitung menschenverachtender Stereotype zu deren Beseitigung beizutragen? Ist es denkbar, dass Eckhart in ihrem vermeintlichen Versuch, sich mit Minderheiten zu solidarisieren, schlicht kolossal missverstanden wird? Dass sie deren Schmerz nur für eine breite Gesellschaft sichtbar macht? Nein, ist es nicht. Denn sämtliche Argumente Eckharts laufen in dieser Hinsicht ins Leere. Da ist zum einen ihr Ziel, Stereotype sichtbar zu machen. Der “unantastbare Jude”, der Gewinn aus der Vergangenheit zieht, obwohl er schon im Reichtum schwimmt – hierbei handelt es sich nicht um Sichtbarmachungen, sondern um eine plumpe Wiedergabe von antisemitischen Falschbehauptungen. Diese Bilder sind weder neu, noch ironisch, noch intelligent, sondern schüren Hass und erzeugen Gewalt bis hin zum Terrorismus. Tom Uhlig beschreibt in einem Artikel in der Jüdischen Allgemeinen[2] treffend, inwiefern Eckharts Rezept im “Brechen von Tabus bestehe, die nie welche waren”. Sie wolle diese Stereotypen reproduzieren, um sie im Anschluss zu brechen, entgegnet Eckhart solchen Positionen.[3] Das tut sie jedoch nicht. Wenn die Pointe aus der “heiligen Kuh” darauf hinausläuft, dass das Stereotyp des “reichen Juden” nun noch um den “übergriffigen Juden” ergänzt wird, dann ist das keine Brechung, sondern nichts weiter als ein Anbau, der nächste Witz auf Kosten der Jüdinnen und Juden. Eine Brechung würde in der Perspektivumkehr bestehen, eine Brechung würde dem strukturellen Antisemitismus in unserer Gesellschaft den Spiegel vorhalten, sie würde die Täterinnen und Täter bloßstellen und ihnen in wahrhaft satirischer Manier den Vorhang wegziehen, sodass sie sich plötzlich selbst am Pranger wiederfinden. Doch das hält Eckhart eigentlich gar nicht für notwendig. So sagt sie, “Salonfähig ist weder der Rassismus noch der Antisemitismus. Auf dieser Basis arbeite ich. Wenn es gängig wäre, zu antisemitischen und rassistischen Vorurteilen öffentlich zu stehen, dann würde ich solche Witze nicht machen.”[4] Für Menschen, die aufgrund ihres Aussehens, ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder anderer Merkmale jeden Tag und zunehmend verächtlich gemacht, angefeindet, bedroht und angegriffen werden, ist diese absurde und wohl absichtliche Fehleinschätzung zur Lage der Gesellschaft ein Schlag ins Gesicht. Wenn in Chatgruppen, aber auch auf offener Straße bis hin zu den Parlamenten Rassismus und Antisemitismus auf Beifall trifft, dann zeigt das höchstens, dass diese Dinge salonfähiger sind als jemals zuvor. Es ist leider gängig, um es mit Eckharts Worten auszudrücken, zu antisemitischen und rassistischen Vorurteilen öffentlich zu stehen. Lisa Eckhart tritt selbst den Beweis dafür an, wenn auch sie Beifall für solche Vorurteile und antisemitische Legenden bekommt. Ohne doppelten Boden, sondern komplett bodenlos.
Satire muss wehtun dürfen, sonst wäre sie es nicht. Wenn sie aber Antisemitismus unterstützt, ist sie antisemitisch. Wenn sie Rassismus unterstützt, ist sie rassistisch. Wenn sie Menschenfeindlichkeit unterstützt, ist sie menschenfeindlich. Terry Pratchett hat dahingehend eine praktische Handreichung bereitgestellt: “Satire ist dazu da, Macht lächerlich zu machen. Wenn Du über Menschen lachst, die verletzt sind, ist das keine Satire, sondern Mobbing.”
Einschätzungen zu Eckhart
Der Antisemitismusbeauftrage der Bundesregierung, Felix Klein, stellte fest, Eckhart “suche leider Beachtung, indem sie bewusst Grenzen überschreite und ihre Pointen auf der Basis von Antisemitismus, Rassismus sowie allgemeiner Menschenfeindlichkeit setze”.[5] Der Bundesverband RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus) schreibt zu Eckhart, “Lisa Eckhart macht in ihrem Beitrag keine Witze über Antisemitismus oder Antisemiten, sie gibt vielmehr antisemtische, rassistische, sexistische und behindertenfeindliche Stereotype wieder. Die Stereotype werden dabei in keiner Form ironisch gebrochen, die Komik soll sich durch den vermeintlichen Tabubruch ergeben.”[6]
Eine ausführliche Kritik an Eckhart formulierte auch das “Linke Bündnis gegen Antisemitismus München” anlässlich eines Auftritts der Kabarattistin 2022, das Bündnis forderte ihre Ausladung.[7] Ebenfalls Kritik und Einschätzungen zu Eckhart kommen aus Düsseldorf von der Antidiskriminierungsberatung ADIRA der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund, auch hier war Anlass ein Auftritt.[8]
Lisa Eckhart verbreitet Antisemitismus und Rassismus. Dennoch hat das Steintor-Varieté Halle sie eingeladen. Zu einem Auftritt nur wenige hunderte Meter entfernt von der Synagoge in der Humboldtstraße, auf die an Yom Kippur 2019 ein Anschlag verübt wurde, bei dem der Attentäter alle Betenden in der Synagoge ermorden wollte. Das Steintor-Varieté und sein Geschäftsführer standen schon zuletzt in der Kritik, weil sie mit Uwe Steimle einen Künstler auf die Bühne geholt haben, der durch antisemitische, rassistische und extrem rechte Positionen auffällt.[9] Mit Lisa Eckhart setzt das Steintor-Varieté diese Reihe fort.
[1] “Huch, ich hab’ schon wieder einen antisemitischen Witz gemacht”, br.de, 11.11.2021, online hier: https://www.br.de/kultur/gesellschaft/lisa-eckhart-macht-antisemitischen-witz-in-aktuellem-programm-100.html
[2] “Antisemitismus aus der WDR-Mediathek”, juedische-allgemeine.de, 30.04.2020, online hier: https://www.juedische-allgemeine.de/meinung/antisemitismus-aus-der-wdr-mediathek/
[3] “Lisa Eckhart, ist das lustig?” SRF Kultur, “Sternstunden der Philosophie” vom 12.06.2022
[4] Ebenda
[5] “Judenhass unter dem Deckmantel der Satire”, juedische-allgemeine.de, 04.05.2020, online hier: https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/judenhass-im-deckmantel-der-satire/?q=lisa%20eckhart
[6] Ebenda
[7] “Linkes Bündnis gegen Antisemitismus München kritisiert Veranstaltung mit Lisa Eckhart im Stadtsaalhof Fürstenfeldbruck und fordert ihre Ausladung”, Pressemitteilung des Bündnisses, 18.08.2022, online hier: https://lbga-muenchen.org/2022/08/18/pm-22-18-8-22-linkes-bundnis-gegen-antisemitismus-munchen-kritisiert-veranstaltung-mit-lisa-eckhart-im-stadtsaalhof-furstenfeldbruck-und-fordert-ihre-ausladung-2/
[8] “Stellungnahme: Antisemitismus ist nicht zum lachen – Beratungsstelle ADIRA kritisiert Auftritt von Lisa Eckhart in Dortmund”, Beratungsstelle ADIRA, online hier: https://adira-nrw.de/stellungnahme-antisemitismus-ist-nicht-zum-lachen-beratungsstelle-adira-kritisiert-auftritt-von-lisa-eckhart-in-dortmund/
[9] Siehe dazu ausführlich unter www.halle-gegen-rechts.de/steimle