PROZESS VOR DEM LANDGERICHT HALLE (SAALE)

Neonazi Sven Liebich steht erneut vor Gericht. Das Amtsgericht Halle (Saale) hatte ihn 2023 u.a. wegen Volksverhetzung, Billigung von Straftaten und übler Nachrede zu einem Jahr und sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Gegen das Urteil haben sowohl der Neonazi als auch die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der Berufung eingelegt. Die Berufung führt zu einer neuen Hauptverhandlung vor dem Landgericht Halle (Saale). Dort wollen auch Betroffene als Nebenkläger- und Adhäsionskläger*innen dem Neonazi den Prozess machen. Alle wichtigen Informationen zum Verfahren und der Beteiligung der Betroffenen am Prozess gibt es in diesem Beitrag.

Das Verfahren vor dem Amtsgericht Halle (Saale)

Die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) hatte den Neonazi Sven Liebich wegen insgesamt 24 Taten angeklagt, darunter Volksverhetzung, Billigung von Straftaten, Verleumdung, Beleidigung und üble Nachrede. Nach einer mehrtägigen Verhandlung verurteilte ihn das Amtsgericht Halle (Saale) am 13. Juli 2023 wegen Volksverhetzung in zwei Fällen, Billigung von Straftaten in einem Fall, Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz (Recht am eigenen Bild) in zwei Fällen, übler Nachrede in elf Fällen (in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung), sowie wegen Beleidigung in einem weiteren Fall. Unter Einbeziehung von einem Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) und einem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten sprach das Gericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Haft ohne Bewährung aus. Weiterhin wurde der Neonazi verurteilt, die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen und jeweils 500,- und 1.000,- Euro an die beiden Adhäsionskläger*innen zu zahlen sowie deren notwendige Auslagen zu tragen. 

Das Gericht stellte in der Verhandlung die Verfahren wegen mehrerer Anklagepunkte ein, darunter mehrere als Beleidigung angeklagte Äußerungen. In drei Punkten wurde der Neonazi freigesprochen.

Aktuelles Verfahren: Berufungsverhandlung vor dem Landgericht

Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Halle (Saale) findet eine neue Hauptverhandlung statt. Das bedeutet, dass alle Beweise neu erhoben werden, Zeuginnen und Zeugen werden neu vernommen, Beweismittel in Augenschein genommen. Der angeklagte Neonazi kann sich äußern, muss es jedoch nicht und zum Ende des Verfahrens halten Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung Schlussvorträge (Plädoyers). Da auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat (und nicht nur der Neonazi), kann das Gericht auch eine höhere Strafe aussprechen als das Gericht der ersten Instanz, soweit es den Neonazi verurteilt. 

Die Hauptverhandlung beginnt am Donnerstag, den 13. Juni 2023 um 9:30 Uhr in Saal 90 des Landgerichts Halle (Saale). Interessierte können an der öffentlichen Hauptverhandlung als Zuschauer*innen teilnehmen, solange freie Plätze im Saal zur Verfügung stehen (es kann sein, dass das Gericht aus Sicherheitsgründen anordnet, dass Zuschauer*innen durchsucht werden, es sollte ein Personalausweis oder Reisepass mitgenommen werden).  Insgesamt hat das Gericht bisher sechs Verhandlungstage (13./14., 20./21. und 27./28. Juni) angesetzt. Die Verhandlungstage werden immer um 9:30 Uhr beginnen und die Verhandlung voraussichtlich bis in den Mittag dauern.

Gegenstand des Berufungsverfahrens wird u.a. ein Auftritt des Neonazis Sven Liebich in Halle (Saale) sein, der bundesweit mediale Aufmerksamkeit erfuhr. In krasser, sexualisierter Sprache zog der Neonazis über Frauen her, die als Teil der Gruppe “Omas gegen Rechts” gegen ihn und seine Versammlung demonstriert hatten. Dabei unterstellte er auch in Deutschland lebenden Geflüchteten pauschal, sie seien alle Vergewaltiger (und die gegen ihn protestierenden Frauen sollten daher Sex mit Geflüchteten haben, um andere vor Vergewaltigungen durch Geflüchtete zu schützen). In der ersten Instanz wurde diese Äußerung als ein als Volksverhetzung strafbares Anstacheln zum Hass gegen in Deutschland lebende Geflüchtete verurteilt. Ebenfalls als Volksverhetzung wertete das Gericht, dass Liebich einen Baseballschläger mit der Aufschrift “Abschiebehelfer” über von ihm betriebene Internetseiten verkauft haben soll. Indem Liebich bei einer Versammlung neben einer Russlandfahne auch ein großes “Z” an seinem Auto präsentiert haben soll, habe er den Angriffskrieg auf die Ukraine gebilligt (strafbar als Billigung von Straftaten). Insgesamt fünfzehn Taten gegen politische Gegner*innen des Neonazis werden das Berufungsgericht beschäftigen. Die meisten betreffen eine Journalistin, über die der Neonazi unzutreffend verbreitete, sie habe bei einer Versammlung ein Kind geschlagen sowie weitere, beleidigende Aussagen. In zwei Fällen soll der Neonazi gegen das Kunsturhebergesetz verstoßen haben, indem er Bilder einer politischen Gegnerin ohne deren Zustimmung veröffentlichte. Die Taten soll der Neonazi in den Jahren 2019 bis 2022 begangen haben. 

Weiterlesen: Pressemitteilung des Landgerichts Halle (Saale)

Das Berufungsgericht ist an die Feststellungen der ersten Instanz nicht gebunden. Die Berufung der Staatsanwaltschaft umfasst nicht jene Taten, bei denen die Verfahren in der ersten Instanz eingestellt oder der Neonazi freigesprochen wurden. Dementsprechend werden in der Berufungsinstanz nun achtzehn von ursprünglich vierundzwanzig angeklagten Taten neu verhandelt. Es ist davon auszugehen, dass das Gericht erneut Urteile des Amtsgerichts Halle (Saale) – zehn Monate Haft, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung – und des Amtsgerichts Tiergarten – einhundertfünfzig Tagessätze zu je zwanzig Euro – einbeziehen und eine Gesamtstrafe bilden wird. 

Dem Neonazi steht danach noch das Rechtsmittel der Revision (zum Oberlandesgericht Naumburg) zur Verfügung. Im Revisionsverfahren findet jedoch keine neue Beweisaufnahme mehr statt, das Urteil wird lediglich auf Rechtsfehler überprüft. 

Nebenklage, Adhäsionsanträge und die Rechte der Betroffenen 

Die Hetze des Neonazis zieht – so zeigt es sich seit Jahren – immer weitere Hetze gegen die Betroffenen nach sich, motiviert andere extrem Rechte, ebenfalls zur Tat zu schreiten. Immer wieder auch körperlich, wenn etwa Journalist*innen durch die Anhänger*innen von Liebich bedrängt, geschubst, angespuckt und geschlagen werden. Gleichzeitig tut die Justiz in Sachsen-Anhalt bis heute nicht alles Notwendige, um diese Taten effektiv zu verfolgen. Ganz im Gegenteil stehen Betroffene immer wieder vor dem Problem, dass die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) Ermittlungsverfahren mit teils absurden Begründungen einstellt (siehe dazu auch hier)

Im Verfahren vor Gericht gibt es mit der Nebenklage für Betroffene die Möglichkeit, ihre Rechte im Verfahren selbst beziehungsweise durch einen Anwalt oder eine Anwältin wahrnehmen zu können. Nebenkläger*innen haben das Recht, in der gesamten Verhandlung anwesend zu sein, Fragen und Anträge zu stellen und ihre rechtliche Vertretung kann einen Schlussvortrag (Plädoyer) halten. Damit trägt die Nebenklage erheblich dazu bei, dem Neonazi den Prozess zu machen und die Fragen und Anträge zu stellen, welche die Staatsanwaltschaft nicht stellt. 

Im Verfahren vor dem Amtsgericht Halle (Saale), also der ersten Instanz, hatten insgesamt vier Betroffene Anträge auf Nebenklage gestellt. Ein Antrag auf Nebenklage wurde zugelassen. Zwei weitere Betroffene hatten, nachdem das Amtsgericht ihre Anträge auf Zulassung als Nebenkläger*innen abgelehnt hatte, sogenannte Adhäsionsanträge gestellt. Mit einem solchen Antrag werden zivilrechtliche Forderungen (etwa Schadensersatz und Schmerzensgeld) in einem Strafprozess gegen den Angeklagten geltend gemacht (statt in einem zusätzlichen zivilrechtlichen Verfahren). Adhäsionskläger*innen haben im Verfahren Rechte, die mit denen der Nebenklage vergleichbar sind, wenn auch nicht ganz so umfangreich. Auf diesem Wege sind die beiden Betroffenen, deren Nebenklage nicht zugelassen wurde, am Verfahren beteiligt. Auch im nun anstehenden Berufungsverfahren werden die drei Betroffenen als Neben- bzw. Adhäsionskläger*innen auftreten. 

Nebenklage und Adhäsionsverfahren sind wichtige Instrumente, damit Betroffene ihre Rechte im Verfahren wahrnehmen können. Einige der Betroffenen sind seit Jahren der Hetze und den Taten von Liebich und seinen Anhänger*innen ausgesetzt, etwa weil sie über deren Aktivitäten berichten und diese dokumentieren. Nebenklage und Adhäsionsverfahren kosten Geld, genauso wie die immer wieder notwendige anwaltliche Unterstützung bereits im Vorfeld, etwa wenn die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) wieder Ermittlungsverfahren einstellt. Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage unterstützt die Betroffenen in ihrem Kampf vor Gericht und ruft dazu auf zu spenden, damit Nebenklage und Adhäsionsverfahren finanziert werden können. Alle Informationen dazu finden sich hier auf unserer Seite.